Fassade
Der Originalfassadenputz hat einen ganz eigenen Charme und gefällt uns gut. Durch seine Körnung, die kleinen Steinchen und seine graubraune Farbe passt er sich an den vorherrschenden Granitstein an und reiht sich im Dorf ein. Der Granit ist im Vecchio Borgo oft anzutreffen und auch unsere Fenstersimse sind aus diesem grauen kühlen Stein gefertigt. Ein altes Steinhaus wie das unsere lebt und atmet durch die Wände. Das heisst, dass die alten Fassadenputze in geringem Masse luftdurchlässig sind. So ist Schimmel oder sind feuchte Wände in so alten Häusern nur dann anzutreffen, wenn es direkt hineinregnet oder Wasser seinen Weg an immer der gleichen Stelle hineinfindet. Andernfalls ist es trocken, weil das Haus"atmen"und Feuchtigkeit wieder austrocknen kann. Ein neuer, herkömmlicher Putz ist meist dicht und lässt eben diese Atmung nicht zu.
Also informieren wir uns über die verschiedenen Möglichkeiten für den neuen Fassadenputz. Wichtig sind uns dabei die Atmungsaktivität des Putzes und die schadstofffreien Inhaltsstoffe. Zudem ist das Aussehen von grosser Bedeutung, da wir das Haus im Dorf integrieren und den ursprüchlichen Look erhalten wollen.
Die Wahl fällt auf eine selbst hergestellte Mischung aus Kalk und Sand. Diese Mischung wird von Urban Spirig, einem in Basel lebenden Experten für alte Mauern, Fassaden und Putze, eigens für uns zusammengestellt. Er reist zu uns nach Biasca, um sich das Haus anzuschauen und die regionalen Möglichkeiten für das Material zu erkunden. Zudem bietet er uns an, vor Ort mit uns für ein paar Tage an der Fassade zu arbeiten und uns die Tricks und Kniffe zu zeigen.
Gesagt, getan! Im Steinbruch von Biasca, holen wir eimerweise gebrochenen Sand, verladen ihn in unseren Bus und fahren zum Haus zurück. Dort wird der Sand mit natürlichem hydraulischem Kalk (dieser festigt und härtet die Mischung) und Weisskalk (dieser gibt Elastizität, sodass wenig Rissbildung entsteht) im richtigen Verhältnis gemischt. Je nach Sandkorngrösse ist das Mischverhältnis anzupassen; wir haben 4mm-Sandgrösse verwendet. Hierzu muss gesagt sein, dass wir im Vorfeld diverse Muster direkt auf der Wand angebracht haben - einerseits um die Mischung zu perfektionieren, andererseits um die Art des Putzes zu bestimmen. Da es verschiedene Auftragmöglichkeiten von Putz auf eine Wand gibt - die alle ein unterschiedliches Resultat im Aussehen erzeugen - müssen wir diese wegen unserer geringen Erfahrung ausprobieren.
Im Baselbiet war es früher üblich, die Vorderseite eines Hauses glatt und die Rückseite rauh zu verputzen. Eine Vorderseite ist repräsentativ, und ein glatter Putz strahlt Eleganz aus (ist in der Tat auch aufwändiger und somit kostspieliger). Die Rückseite wird nicht gesehen, daher kann sie die einfachere Variante haben: Ein Rauhputz, der in der Anbringung weniger aufwändig, also günstiger ist. Im Tessin ist dies nicht so: Die Häuser sind in unterschiedlichen Techniken verputzt und dies rundherum. Da wir beide Putzarten schön finden, haben wir uns auf unsere Herkunftsstadt berufen und bringen diese alte Basler Tradition nach Biasca.
Putz muss Nass in Nass aufgetragen werden. Das bedeutet, dass man nicht anfangen und dann an einem anderen Tag weitermachen kann. Es muss in einem Rutsch gearbeitet werden und das am besten mit vielen Händen. Also setzen wir eine Woche für den Fassadenputz an, suchen interessierte Helfer und organisieren Kost und Logis für alle.
Und so kommt es, dass neun interessierte Fassadenhelfer und Urban im Casa Tre Valli ankommen. Wir beginnen die Arbeit jeweils früh am Morgen, damit die Sonne den feuchten Putz nicht zu schnell austrocknen lässt. Urban verteilt die Aufgaben, so dass der ganze Ablauf reibungslos funktioniert. Simon und Stefan beginnenn jeweils eine Stunde früher als der Rest des Teams. Sie sind zuständig für das Anrühren der Mischung und das Verteilen des Gemischs auf dem Gerüst. Anschliessend kommen Gregor, Silas, Cornelius, Martin, Vincent, Reto und ich unter der Führung von Urban zum Zug. Auf dem Gerüst verteilt wird synchron gearbeitet. Immer wieder werden die Plätze getauscht, damit die Handzeichnungen am Ende ein einheitliches Bild auf der grossen Fläche erzielen. Jeder hat nämlich eine eigene Art aufzutragen; somit sehen alle Arbeitsflächen der Arbeiter ein wenig anders aus. Stefan und Simon mischen weiter und ziehen die Eimer anhand eines Seilzugs am Gerüst hoch. Die leeren Kessel werden nach unten gebracht und neu gefüllt. Wenig Pause ist während der Arbeit möglich. Zwei Punkte versüssen uns die Arbeit: Erstens: Wir werden super bekocht! Nicole ist in dieser Woche nach Biasca gereist, organisiert den Einkauf, die Küche und kocht jeden Tag drei Mahlzeiten. Eine absolute Bereicherung und super fein. Zweitens beenden wir unsere Arbeit so, dass wir alle zusammen jeden Spätnachmittag einen Ausflug machen. Die unzähligen Bademöglichkeiten laden zum planschen und dreckabwaschen ein.
Und so steht nach nur vier Tagen die ganze Fassade. Wir haben dank dem super Einsatz aller Helferinnen keine ganze Woche gebraucht. Danke an alle! Die Woche war super, die Stimmung heiter, die Arbeit anstrengend, aber auch toll - und die Fassade sieht genial aus.